Gegenseitig von „Frühen Hilfen“ lernen

Ennepe- Ruhr. Mit Hausbesuchen und Begrüßungspaketen bieten mehr und mehr Kommunen des EN- Kreises Familien mit Neugeborenen Unterstützung an. Um von den „Frühen Hilfen“ der Nachbarstädte zu lernen, lud die SPD Ennepe- Ruhr Experten der Kommunen und freien Träger zu einer Fachtagung ein. Sorgen machen den Jugendhelfern geplante Gesetzesänderungen in Bund und Land.

Unsicherheiten in der Pflege, mangelnder Wohnraum, fehlende Betreuung – es gibt zahllose Gründe, mit dem Familiennachwuchs überfordert zu sein. Zwar gibt es bereits vielfältige Hilfen für Familien im EN- Kreis – doch längst nicht alle Eltern kennen sie. „Es gibt einen hohen Informationsbedarf“, fand Gorden Stelmaszyk vom Wittener Jugendamt heraus. Gemeinsam mit einer Hebamme besuchte er im Rahmen des Projektes „Frühe Hilfen“ rund 50 junge Familien – im Gepäck ein Begrüßungspaket, das neben Rasseln und Fläschchen alle relevanten Informationen zusammenfasst. Stelmaszyks positive Bilanz: „Die persönlichen Gespräche schaffen Vertrauen und erleichtern es den Eltern, bei Bedarf auch nach weiterer Beratung zu fragen.“

Doch dafür müssen die Gespräche ein Angebot und keine Kontrolle sein, weiß Juliane Lubisch vom Hattinger Bündnis für Familie. Wie in Witten schreibe man die neuen Eltern vorher an. „Es gibt keine Listen, wir stellen niemanden unter Generalverdacht, schlecht mit seinem Kind umzugehen.“ Seit zweieinhalb Jahren stellen die rund 60 Partner des Bündnisses Hilfen für Eltern auf die Beine: Beteiligte Kinderärzte bieten Babysprechstunden im städtischen Familienzentrum an. Für Kinder berufstätiger Eltern werden Betreuungsplätze in den Morgen- und Abendstunden gesucht. Grund genug für Jochen Winter, dem Geschäftsführer der AWO EN, auch den anderen Städten Familienbündnisse wie in Hattingen oder Herdecke nahe zu legen. „Da gibt es im Kreis weiterhin Nachholbedarf. Die Familienzentren allein sind mit der Bildung solcher Netzwerke überfordert.“

Der Gefährdung von Kindern innerhalb der Familien beugt das Wittener Jugendamt durch eine 24- Stunden- Bereitschaft für Polizei und Ärzte vor. Das Hattinger Bündnis schult unter anderem Beamte von Polizei und Feuerwehr, während der Einsätze Anzeichen für Verwahrlosung bei Kindern zu erkennen. Die Kosten dieser Projekte hält Hattingen durch Sponsoren klein. Langfristig werde sich jeder Euro für die Prävention mehrfach lohnen, auch für die Stadt. Juliane Lubisch: „Wir haben hier einen Neuanfang gemacht, der uns auch in anderen Bereichen der Jugendhilfe langfristig sparen hilft“. Denn nicht nur in Hattingen explodieren die Kosten für die Heimunterbringung von Kindern.

Am 11. März führte das „Forum Familie und Betreuung“, eine Arbeitsgruppe des SPD- Unterbezirks Ennepe- Ruhr, eine Fachtagung zu den frühen Familienhilfen im Kreisgebiet durch. Rund 30 Teilnehmer/innen kamen im Haus Witten zusammen, um von den "Frühen Hilfen" der Nachbarstädte zu lernen.

„Bei frühen Hilfen geht es um Chancengleichheit – auch im Bereich der Gesundheit“, hob Dr. Hans- Joachim Boschek hervor. Derzeit gebe es sie nicht: „Wir können derzeit am Zustand der Zähne der Kinder den Bildungsstand der Eltern ablesen.“ Der Mediziner leitet den Fachbereich Soziales und Gesundheit des Kreises, der – unter Beteiligung der Krankenkassen – die gesundheitliche Frühförderung auf breitere Füße gestellt hat. „Von der profitiert nun jedes fünfte Kind.“ Bei der Gesundheitsvorsorge konzentriere sich der Kreis auf die Kitas. Das Projekt BaukastEN biete Informationen und Beratungsgespräche, unter anderem zur Hygiene, Zahngesundheit und Ernährung der Kinder. „Da können wir uns vor Nachfrage kaum retten“, so Boschek.

Die Jugendhelfer sind überzeugt: Die „niederschwelligen“ Besuche und Beratungen bringen erste Erfolge. Umso deutlicher lehnen sie die geplanten Änderungen des Kinder- und Jugendhilfegesetzes ab. In Berlin treibt die Union die Verschärfung des Gesetzes voran. Die sich daraus ergebenden Bestimmungen des Landes würden den Jugendämtern Kontrollen in allen Familien vorschreiben. „Das läuft unseren freiwilligen Modellen absolut entgegen“, erklärt Harald Herrmann, Jugendamtsleiter in Witten. Als vertrauenswürdige Berater würden seine Mitarbeiter dann nicht mehr gesehen. Auch die Bundestagsabgeordnete Christel Humme (SPD) hält die Verschärfung für falsch: „Kontrollen ohne Anfangsverdacht eignen sich nicht, um Kindesmisshandlungen zu verhindern. Aber sie verbauen den Jugendämtern die Chance, erfolgreich Hilfe anzubieten. Der Schutz der Kinder funktioniert besser über Prävention.“ Daran solle man weiter arbeiten, auch in der Expertenrunde für den EN- Kreis, meinte Humme. „Diese Art von Austausch sollten wir wiederholen.“